PC-Konfektion

Ausarbeitung zum kleinen Seminar von Markus Heurung.
Für Vorschläge und Kritik: email an Markus.Heurung@mni.fh-giessen.de

Motivation

PC-Konfektion oder auch Smart Clothing oder Wearables ist eines der zur Zeit vielleicht interessantesten und für den Menschen direkt folgenreichsten Gebiet der Computerforschung. Wearables sind jetzt schon allgegenwärtig und begleiten uns tagtäglich.
Diese Ausarbeitung soll einen Überblick über die Technologie und deren zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten geben.


Zum Anfang

Was ist Smart Clothing?

Mit diesem Begriff wird eine Art Computer bezeichnet, die eigentlich nur ein Ziel hat: den Benutzer zu unterstützen. Und dies möglichst ohne ihn einzuschränken oder zu behindern.
Dies gewährleisten folgende Merkmale von Smart Clothing bzw. Wearables:

Computerisierte oder intelligente Kleidung

Unter diesem Begriff versteht man Kleidung, die selbst einen Computer darstellen.
Erwähnenswert sind hier z.B. intelligente Fasern, die Strom leiten können und so die eigentliche Hardware darstellen können. Auch Fasern, die auf Temperatur reagieren und so z.B. den Wärmeffekt der Kleidung regulieren können fallen in dieses Gebiet.
In dieser Ausarbeitung werde ich allerdings nicht näher auf dieses Thema eingehen.


Zum Anfang

Geschichtlicher Überblick

Hier möchte ich einen kurzen Überblick über die geschichtliche Entwicklung von Smart Clothing geben. Diese Daten hier sind Auszüge von [2]. Dort findet man auch ausführliche Erläuterungen zu allen Daten.


1268 Erste Erwähnung von Linsen für optische Zwecke
1762 Erfindung der Taschenuhr
1966 Erster Wearable zur Vorhersage von Roulleteergebnissen
  Computerbasierter, am Kopf tragbarer Display (MIT)
1979 Markteinführung des Walkman von Sony
1981 Steve Mann (später am MIT) baut aus einem Apple II, einem Kameradisplay und verschiedenen Lampen und Kamerateilen einen tragbaren Computer.

Ich habe mich hier auf einige interessante Daten beschränkt um deutlich zu machen, wie vielfältig das Thema Smart Clothing ist. Es ist nicht nur auf hochtechnisierte Geräte beschränkt.

So ist die Taschenuhr sicher kein Computer, im Gegensatz zu den damals üblichen Standuhren tragbar und sehr komfortabel. Von Kirchenuhren garnicht zu sprechen.

Für sehr interessant halte ich die Tatsache, dass computerbasierte Wearables zu Beginn ihrer Entwicklung hauptsächlich für den Zweck des Spielbetrugs, hauptsächlich beim Roulette, entwickelt wurden. Der Anreiz Glücksspiele zu überlisten war wohl schon immer sehr gross.

Displays, die am Kopf tragbar sind stellen meiner Meinung nach eine grundlegende Technik für Wearables dar. Man muss seinen Kopf nicht bewegen, um eine Ausgabe vom Computer erfassen zu können, es reicht ein Fokuswechsel im Auge. Dies ist nicht nur ungemein schnell, sondern bietet auch die Grundlage für Augmented Reality.

Mit der Einführung des Walkmans war es das erste Mal möglich Musik einfach, billig und vor allem portabel zur Verfügung zu haben. Dieser und seine Nachfolger wie DiscMan oder MiniDisc sind wohl neben Mobiltelefonen die am weitesten verbreiteten Wearables. Abgesehen von Brillen natürlich.

Den letzten Punkt halte ich deshalb für erwähnenswert, da Steve Mann [3] eine Ikone auf dem Gebiet der Wearables darstellt. Er ist Professer an der University of Toronto und langjähriger Entwickler von Wearables.
Auf dem nächsten Bild kann man die Entwicklung seiner Forschung grob betrachten. Wärend seine Wearables in den 80ern noch unförmige, klobige Gerätschaften sind, die in einem grossen Rucksack untergebracht werden müssen, so sind sie in der frühen 90ern schon wesentlich kleiner geworden. Mitte der 90er kann man schon von komfortabel reden. Es ist kein Helm für die Geräte am Kopf nötig, es reicht eine Mütze. Auch der Rucksack ist nicht mehr nötig, ein Gürtel reicht aus.
Heute kann man kaum noch erkennen, dass Steve Mann fast am gesamten Körper "computerisiert" ist. Die Brille enthält Display, die Eingabe funktioniert über eine Minitastatur am Gürtel und der Rest ist über den ganzen Körper verteilt.
Funktional bietet sein Wearable vieles. So ist in die Brille eine Kamera integriert, dessen Bild permanent auf den Webserver übertragen wird. Es ist redundant über Funknetz und Hamradio angebunden und stellt auch einen kompletten Notebook dar.
Einen kompletten Überblick kann man auf Steve Manns Homepage [3] finden.

Steve Mann - Timeline - Vorsicht! 5MB Gross!
                                                                      Steve Mann - Timeline (5MB!)

Steve Mann ist auch überzeugt, dass Wearables einen immer begleiten sollten und praktiziert dies selbstverständlich dann auch selbst.


                                                        Steve Mann im Alltag


Zum Anfang

Eingesetzte Techniken

In diesem Kapitel möchte ich einige grundlegenden Technologien im Zusammenhang mit Smart Clothing vorstellen.

Kleinstcomputer

Kleine Computer sind grundlegend für Wearables. Schon ein Notebook ist zu gross, um ihn beim Gehen sinnvoll bedienen zu können. Ein PDA ist in dieser Hinsicht schon brauchbarer.
Ideal sind Computer, die in die Kleidung integriert und verteilt werden können und so nicht störend wirken. Hierfür reichen schon kleine PCs. An der Standford University [4] ist ein Mini-PC in der Grösse einer Streichholzschachtel entwickelt worden. Dieser PC hat eine 486-SX CPU mit 66 MHz, 16MB Ram, 340MB Festplattenkapazität, VGA-Anschluss, zwei serielle und einen parallen Anschluss, 10MBit Ethernet und kann mit Linux oder auch Windows betrieben werden. Da der Rechner auf 4 Platinen untergebracht ist, kann man diese sehr flachen Bauteile ideal in Kleidung integrieren.


                                                                      Der Matchbox PC

Details und mehr Bilder kann man unter http://wearables.stanford.edu/fourlayer.html finden.

Eingabetechniken

Um möglichst grosse Handfreiheit zu gewähren, kann man zur Eingabe nicht auf normale Tastaturen zurückgreifen. Man benötigt Alternativen, die entweder genügend Freiheit zulassen oder ganz auf die Hände verzichten.

Datenhandschuh


Datenhandschuhe können getragen werden wie normale Handschuhe. Für Arbeiten, wie an Baustellen oder an Maschinen, wo sowieso Handschuhe getragen werden müssen, sind diese also kein störender Faktor.
In den Handschuh sind Sensoren eingebaut, die die Bewegungen der Hand und der Finger verfolgen. Bestimmte vordefinierte Bewegungsabläufe können nun Aktionen auslösen. Zusammen mit Augmented Reality könnte auf diese Weise z.B. ein komplettes GUI implementiert werden.

MiniTastaturen


Normale Computertastaturen benötigen beide Hände und sind aufgrund ihrer Abstammung von der Schreibmaschine auch nicht auf Ergonomie ausgelegt. Ein weiterer Nachteil ist die Grösse, was allerdings durch Klapp- oder Falttastaturen kompensiert werden kann. Diese Nachteile versuchen Minitastaturen zu vermeiden.
Handytastaturen zum Beispiel können mit meist mit nur einer Hand bedient werden. Ergonomisch sind sie selbstverständlich nicht, allerdings sehr klein.
Eine andere Lösung ist der abgebildete Twiddler [5]. Der Twiddler stellt eine vollwertige PC-Tastatur dar und wird auch über gewöhnliche Anschlüsse mit dem Computer verbunden. Wie man auf dem folgenden Bildern erkennen kann hat der Twiddler an der Oberseite die normalen ALT, CTRL oder auch NUMLock Tasten und sogar einen IBM Trackpoint als Mausersatz. Wie man auf den Bildern auch deutlich sehen kann, wird ein Buchstabe nicht durch einen Tastendruck, sondern durch das Drücken mehrerer Tasten auf einmal erzeugt. Dadurch kann man 6 Tasten für den Daumen und 12 Tasten für die restlichen Finger leicht eine 101-Tasten Tastatur emulieren. Die Schreibgeschwindigkeit für geübte Benutzer soll dabei bei der Schreibgeschwindigkeit auf einer normalern Tastatur liegen.

              Twiddler - von der Seite

              Twiddler - von oben

Sprache

Um Tastaturen oder andere "händische" Eingabegeräte zu vermeiden, hat man noch die Möglichkeit der Sprachsteuerung.
Mittels Mikrofon und einer Spracherkennungssoftware kann man dem Computer seine Befehle geben und ihn so steuern. IBM's ViaVoice ist eine der bekannten Spracherkennungssoftware, die auch für normale Computer verwendet wird.
In einer lauten Umgebung wie in einer Fabrik ist diese Möglichkeit aufgrund der externen Stögeräusche nicht praktikabel.

Ausgabetechniken

Wie auch schon bei der Eingabe ist es bei der Ausgabe notwendig Alternativen zu einem Monitor einzusetzen.

Datenbrillen


Der Einsatz von Displays die direkt vor das Auge des Benutzers montiert werden haben fü einen grossen Vorteil. So kann das Bild mittels Spiegel auf die Brille projeziert werden und blockieren so nicht das Sichtfeld. Mittels einer integrierten Kamera und einer Auswertung des Bildes kann das Wearable nützliche Informationen auf das Display ausgeben. Dies bildet eine Grundlage für Augmented Reality und wird auf folgendem Bild gut veranschaulicht.

                                                 Augmented Reality im Alltag
Auf diesem Bild kann man eine einfache Anwendung von Augmented Reality sehen. Mittels GPS wird festgestellt, wo der Benutzer sich befindet und durch Abfrage eine Datenbank wird angezeigt, welches Gebäude der Benutzer gerade betrachtet. Unten rechts wird zusätzlich die Uhrzeit und die Blickrichtung angezeigt.

Eine andere Möglichkeit um ein Bild über das Blickfeld des Benutzers zu legen ist die direkte Projezierung des Bildes auf das Auge. Das HMD (Head Mounted Display) "Spectrum" [6] von Microvision [7] ist zum Beispiel ein solches Gerät. Es bietet eine Auflösung von 800x600 bei einer Farbtiefe von 24bit.

kleine Displays

Eine weitere Alternative ist möglichst kleine und leichte Displays zu benutzen, die dann beispielsweise am Arm befestigt werden. So wird der Benutzer kaum behindert.

Ton

Auch die Ausgabe nur über Ton ist möglich. Für bestimmte Zwecke könnten einfache Töne reichen. Für andere Zwecke kann man auch Sprachausgabe nutzen. In lauten Umgebungen ist dies sicher nicht gerade immer sinnvoll; dann muss man auf optische Ausgaben zurückgreifen.


Zum Anfang

Anwendungsgebiete

Die Anwendungsgebiete von Smart Clothing sind sehr vielfätig und fast unbegrenzt. Oft wird der Zugriff auf verschiedene Datenbanken genutzt, um schnell auf Daten zugreifen zu können.
Hier sind nur einige (wenige) Beispiele genannt.


Zum Anfang

Probleme und mögliche Lösungen

Energieversorgung

Die Energieversorgung der Wearables ist ein Problem, da Batterien erstens relativ gross sind und so den Benutzer behindern. Zweitens müssen Batterien aufgeladen oder gewechselt werden.
Ein möglicher Lösungsansatz ist den Menschen selbst als Energielieferanten zu nutzen. Dabei stehen verschiedene Quellen zur Nutzung. So könnte man die vom Körper abgestrahlte Wärme nutzen. Neben Arm- oder Fingerbewegung ist eine dritte Möglichkeit durch Gehen Energie zu gewinnen. Beim Auftreten wird auf den Fußballen jedesmal 30% mehr Kraft ausgeübt als beim Stehen. Dies kann je nach Körpergewicht eine Leistung von etwa 70W bringen. Durch piezo-elektrische Elemente im Schuh kann dies in elektrische Energie umgewandelt werden.

Folgende Grafik von [18] zeigt die möglichen Quellen und die erzielbaren Leistungen. Die Werte in Klammern sind die tatsächlich erzeugten Leistungen.

                                          Energie aus körpereigenen Quellen

Ein Wearable hat je einen nach Bauweise einen Bedarf zwischen 0,5W und 10W. Kombiniert mit einer kleinen Batterie als Zwischenspeicher könnte man so einen permanent laufenenden Wearable betreiben.

Eine besonders erwähnenswerte Quelle ist [9].
Dort wird neben den schon genannten Möglichkeiten aus dem Menschen selbst Energie zu gewinnen, eine sehr interessante Methode erwähnt: in Adern implantierte "Turbingen" könnten durch Blutdruck alleine Mikroprozessoren und Sensoren betreiben, die zum Beispiel zur medizinischen Überwachung eingesetzt werden können.

Grösse

Ein weiteres Problem ist die Grösse der Computer, die als Wearables eingesetzt werden. Da Wearables eigentlich garnicht klein genug sein können besteht hier noch immer Verbesserungsbedarf. Allerdings kann man sicher sagen, dass dies über kurz oder lang gelöst wird, da Prozessoren und Chips immer kleiner werden. Moore's Law hält auch hier Einzug.

Bedienung

Wearables unterliegen bei der Eingabe und bei der Ausgabe ganz andere Anforderungen als normale Computer. So ist es nötig neue Benutzeroberflächen zu entwickeln, die die entsprechenden E/A-Geräte optimal unterstützen. Deshalb kann die Software von PCs nicht einfach portiert werden, sondern muss erst entsprechend angepasst werden.


Zum Anfang

Wearables in der Zukunft

Smart Clothing wird meiner Meinung nach eine sehr wichtigte Rolle in unserer Zukunft spielen.
Schon heute ist das Mobiltelefon (leider) allgegenwärtig. Auch Handhelds, PDAs und andere Organizer sind keine Seltenheit mehr.
Durch die stetige Weiterentwicklung der verschiedenen Technologien werden Computer immer kleiner werden.
Wie oben schon gezeigt, werden komplette PC-kompatible Computer mittlererweile schon auf eine Grösse einer Streichholzschachtel geschrumpft.
Mittels Bluetooth können z.B. einzelnene Komponenten am Körper miteinander kommunizieren, wodurch Kabel oder andere störende Materialien gespart werden können.
Alleine damit kann man die Teile eines Computers am ganzen Körper verteilen. Und es wird auch nicht nur beim reinen "Tragen" bleiben. Auch in den Menschen werden Wearables Einzug halten.
Schon jetzt ist es möglich Blinden ansatzweise durch künstliche Augen eine primitive Art von Sehen zu ermöglichen [10]. Solche computerisierten oder andere intelligente Prothesen wie Hörgeräte könnten so weit entwickelt werden, dass ihre Fähigkeiten die natürlichen Organe übertreffen könnten wie es in vielen Science-Fiction Romanen schon geschehen ist.
Die Möglichkeiten sind hier nahezu unbegrenzt und lassen auch jetzt noch viel Platz für Phantasie und Erfindergeist.


Zum Anfang

PowerPoint-Präsentation

Die im Vortrag benutzte PowerPoint-Praesentation (gezipped, Vorsicht: 2MB gross!)


Zum Anfang

Quellenverzeichnis

[1] <http://www.igd.fhg.de/igd-a4/student/seminar/ws2001_ar.html>
[2] A brief history of wearable computing - <http://www.media.mit.edu/wearables/lizzy/timeline.html>
[3] WearComp.org, WearCam.org, UTWCHI, and Steve Mann's Personal Web Page/research - <http://wearcomp.org>
[4] Stanford Wearable Computing Laboratory - <http://wearables.stanford.edu>
[5] Handykey Corporation - <http://www.handykey.com/>
[6] Microvision: Spectrum - <http://www.mvis.com/prod_spectrum.htm>
[7] Microvision Homepage - <http://www.mvis.com>
[8] CyPorter - <http://www.zdf.de/programm/cyporter/>
[9] Human-powered wearable computing - <http://www.research.ibm.com/journal/sj/mit/sectione/starner.html>
[10] Dr. Patrick Hamilton - Kunst-Augen, Neuroprothetik: Hoffnung für Blinde - c't 9/96, Seite 116
[11] <http://ait.nrl.navy.mil/vrlab/projects/BARS/BARS.html>
[12] MIThril - <http://www.media.mit.edu/wearables/>
[13] Steve Ditlea - The PC goes ready-to-wear - IEEE Spectrum Oktober/2000
[14] Arvika - Augmented Reality in industriellen Anwendungen - <http://www.arvika.de>
[15] i-Wear - <http://www.starlab.org/bits/intell_clothing/>
[16] ViA Wearable Computers - <http://www.flexipc.com>
[17] Xybernaut - <http://www.xybernaut.de>
[18] Beck IPC GmbH - <http://www.bcl-online.de>
[19] Wearable HowTo - <http://www.linuxdoc.org/HOWTO/Wearable-HOWTO.html>
[20] The Wearable Group at Carnegie Mellon - <http://www.wearablegroup.org>
[21] Nasa - Body Wearable Computer Applications - <http://science.ksc.nasa.gov/payload/projects/borg/>
[22] ETH Wearable Computing Laboratory in Zurich - <http://www.wearable.ethz.ch>
[23] <http://www.wearablegear.com>
[24] Wearable Computers - <http://www.the-gadgeteer.com/wearable.html>
[25] Birgit Richard - Tragen oder Komputieren? Der Mensch zwischen "wearables" und Cargo Kult - <http://www.uni-frankfurt.de/fb09/kunstpaed/indexweb/indexwszwei/wearable.html>


Zum Anfang