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An den
20079 Hamburg
01.03.2003 „Die
Reformuni“ von D. Müller-Böling in DIE ZEIT 09/2003 Sehr
geehrte Damen und Herren, mitten
in den Semesterferien leistete ich mir zum ersten Mal nach vielen Monaten etwas
Gutes: Das zugestellte ZEIT-Exemplar weder der Gattin noch dem wachsenden
Papier-Stapel zu überlassen, sondern es aufzuschlagen. Am besten geeignet zur
Deckung des Nachholbedarfs erschien mir der o.a. Text von Herrn D. Müller-Böling,
dessen erfrischender Anfang an irgendwas zwischen Asterix und Manifest
erinnerte. Den im Vorspann angekündigten Optimismus konnte ich über alle Absätze
mittragen. Der Autor sprach mir streckenweise regelrecht aus der Seele und
erinnerte mich unerbittlich an mein eigenes Ingenieurstudium vor mittlerweile
ca. 30 Jahren: „Dienst
nach Vorschrift“ war der Nachgeschmack, den die damalige Professorenschaft
meiner Generation überwiegend hinterließ – natürlich nur, was die Lehre
(6-8 Lehrstunden pro Woche) betraf; denn die Forschung war ihr eigentliches
Steckenpferd. Und, weil sie (nach ihrem Verständnis) gewissenhaft waren, haben
sie auch einen Großteil des Erwirtschafteten re-investiert und damit
ansehnliche Institute aufgebaut, die unseren Diplomen und Promotionen auch nach
so vielen Jahren zusätzliches Gewicht verleihen; zunächst eine ambivalente
Angelegenheit, die freilich auch eine dunkle Schattenseite hatte, die Herr Müller-Böling
treffend brandmarkt – in meinem Studium äußerte sich das so: In
der Physik-Vorlesung des ersten Semesters war man z.B. am Ende einer 90minütigen
Vorlesung am Mechanik-Stoff der gesamten Schulzeit vorbeigerauscht und konnte
als Nachweis dafür an der Tafel ein winziges Kreuzchen bewundern, das der
betagte Professor in seinem Fach-Rausch bei einer beschwingten Umdrehung um die
eigene Achse gezeichnet hatte, um darauf hinzuweisen, daß alles mit einem
Massenpunkt begonnen habe. In den Übungen erschien man nur zur Abgabe: Die
dorthin geschickten Tutoren waren zwar patent, aber genauso neu und unbetreut
wie man selbst, und sie wußten noch gar nicht, daß die Lösungen der seit
Jahrzehnten verwendeten Übungen inzwischen in kaum noch lesbaren Fotokopien von
der Fachschaft herumgereicht wurden. Zur Prüfung konnte man sich auf das
Repetitorium des Hauptassistenten verlassen, der, auf die Nachfolge des
Professors blickend, alles feinst aufgearbeitet hatte. Das alles waren Teile der
„Infrastruktur“, die der damalige Lehrkörper mangels Konkurrenz leider
nicht immer anbot. Ein
Ergebnis dieser Situation spiegelte sich später in der „Aushändigungszeremonie“
meines Diplomzeugnisses: Ich erschien im Prüfungsamt, vorbereitet, mich bei
Bedarf für meine dreizehn Semester währende Studienzeit zu entschuldigen.
„Zusatzstudien von Wirtschaft und Soziologie in dieser Zeit“ wollte ich erwähnen,
evtl. mein „soziales und kulturelles Engagement“ zur Verstärkung
mobilisieren. Und, sollte all dies nichts fruchten, wollte ich schließlich auch
meine „griechische Muttersprache und Provenienz“ den vielleicht drohenden bösen
Blicken entgegenhalten, um den erhofften feucht-warmen Händedruck ohne Schelte
zu bekommen. Alles
unnötig: Die einsame Sekretärin gratulierte mir herzlich und kontaktlos hinter
ihrem Schreibtisch, daß ich den Durchschnitt meiner deutschen Kommilitonen an
Studienzeit unterboten hatte – genaugenommen: jener 47%, die ihr Studium nicht
vorzeitig abbrachen. Zu
beweisen, daß ein Studium auch anders zu organisieren geht, wurde eine wichtige
Triebfeder in meinem darauffolgenden Berufsleben. Als ich dann ein Viertel
Jahrhundert später den Luxus dreier aufeinander folgender Rufe hatte, entschied
ich mich kurzerhand für die schlechter dotierte Stelle (C2) – dafür aber
dort, wo ich inzwischen in privaten Besuchen die Möglichkeit bekommen hatte,
verwandte Gemüter im Kollegium ausfindig zu machen. Inzwischen kenne ich auch
gute Gründe für die Beliebtheit von Absolventen der FH Gießen. Mitten
in den persönlichen Erinnerungen und der Freude über die gelungenen
Schilderungen Herrn Müller-Bölings hatte ich plötzlich das Ende der Lektüre
erreicht, obwohl ich dachte, das Wichtigste noch genießen zu dürfen. Dem
Attest der Richtigkeit kann also m.E. keineswegs jenes der Vollständigkeit
folgen. Lassen
Sie mich also zur Vervollständigung des Bildes kommen, mit dem sich Herr Müller-Böling
befaßt: Wir
(hier: die Informatik der FH Gießen) sind erfolgreich und beliebt, und mit oder
ohne ZVS stellen wir ständig neue Erstsemester-Rekorde auf; in dieser Richtung
erhoffe ich mir vordergründig von der Reform keine Änderungen – zumindest
keine angenehmen. Dieser
Erfolg macht die (auch mit meinem Ruf nicht behobene) Unterbesetzung zu einem
Dauerzustand. Neuberufene wie ich haben kaum eine Chance, die mitgebrachten
Schwerpunkte aus Forschung und Entwicklung zu vertreten, weil zunächst das
blanke Überleben der Grundlagen-Lehre gefordert ist. „Du kannst Dein Wissen
auffrischen und kriegst auch noch Geld dafür!“, witzeln die mir immer mehr
ans Herz wachsenden Kollegen, welche die Sorge um die Erfüllung der eigenen
Einstellungsvoraussetzungen kennen und teilen. Meine
erste Verweigerung kam im vergangenen Herbst, als meine Fächer statt bis dahin
ca. 25 nunmehr 30 Lehrstunden für die weiter erstarkten Semester verlangten.
Was ich tat? Ich sagte die zu schwach besuchten Veranstaltungen ab und legte
meine Übungen auf benachbarte Räume, so daß ich zwischen ihnen pendelte.
Damit kam ich erstmalig auf „nur“ 20 Lehrstunden (bei vertraglich
vorgesehenen 18, im Vergleich zu den 6-8 meiner früheren Prof’s). Alles
Bulmahn oder was? Rechnen
Sie bitte mit: Wenn
unter diesen 20 Stunden 14 Übungsstunden sind, dann habe ich, bei einer
Doppelbetreuung in 6 von ihnen und 15 Studierenden je Stunde und Übungsraum,
insg. die reelle Zahl von 300 Studierenden zu betreuen. Weil ich es anders mache
als meine Prof’s vor 30 Jahren, bekommen meine Studenten Übungsblätter, die
nach Bearbeitung und Abgabe auch korrigiert werden. Als Motivationshilfe
erhalten sie dafür einen Punkte-Bonus für die Klausur. Mit sparsam
eingerichteten 4 Übungsblättern je Semester habe ich 1200 Einreichungen zu
kontrollieren und bei Mängeln Korrekturen anzufordern, um sie wiederum zu
korrigieren – macht zusammen die Kontrolle von deutlich über 1500 Übungen in
den ca. 12 Wochen eines Semesters. Jede dieser Übungen soll soviel Arbeit
abverlangen, daß ein/e Student/in damit 4-7 Studen ausgelastet ist und eine möglichst
individuelle Lösung (z.B. ein selbstgeschriebenes Programm) mit Lerneffekt
erarbeitet. Selbstverständlich läuft alles per Email und so rationalisiert wie
ich nur kann. Aber glauben Sie, daß man über 1500 individuelle Lösungen
(inkl. Verwaltung des versprochenen Bonus) in weniger als 300 Stunden
korrigieren und beantworten/beanstanden kann? Da wäre jedem Einreicher nur ein
Viertel Stunde gewidmet und schon 25 Studen pro Woche Arbeit, um die eigenen Übungen
zu betreuen. Mit den 14 Stunden Anwesenheit bei der Veranstaltung kommt man auf
39 Stunden nur für das Angebot betreuter und korrigierter Übungen und erkennt,
daß die Einsparung der o.a. 6 „Doppelbesetzungen“ nur zur Verschönerung
der Statistik, nicht aber wirklich zur eigenen Entlastung taugen. Damit
ist gewiß noch keine Minute Vorlesung gehalten – geschweige denn vorbereitet!
Schon die unausweichliche Anwesenheit bei den eigenen Vorträgen (mit Kreuzchen
an der Tafel oder ohne) erhöht meine Arbeitszeit auf 45 h pro Woche. Wenn man
sich (wie ich) zudem vornimmt, den Student/inn/en am Ende der Stunde einen
Stapel mit verbindlich formulierten Folien zu überlassen (in elektronischer
Form, zuvor multimedial vorgetragen), dann können Sie das Beispiel betrachten,
das ich immer wieder meinen Studenten vorrechne: Angenommen,
Sie beherrschen Ihr Fach wie kein anderer (Schwerpunkt hin oder her) – sagen
wir, wie Ihre eigenen Memoiren: Wie lange brauchen Sie, um einen einstündigen
Vortrag aus Ihrem Lebenslauf anhand von Dokumenten und Erinnerungen zusammenzustellen,
so daß Sie ihn jemand Drittes überlassen können (etwa als Anlage in einer
Bewerbung)? Weniger als 10 Stunden? Auch wenn Sie danach ein Semester lang sich
darauf beziehen wollen, ohne nachträglich Lücken oder gar Fehler beheben zu müssen
(nicht umsonst kursiert die Vokabel „Seifenoper“)? Haben
Sie mitgerechnet? Ich (wir) bringe(n) es mehr oder weniger regelmäßig auf über
100 Stunden Arbeitszeit pro Woche. Und weil sich die Zeit nur mit Nächten und
Wochenenden strecken läßt, bedeutet dies, daß es oft Nächte gibt, die damit
enden, daß ich mich rasiere und mich von meiner Familie verabschiede, um in den
Hörsaal zu torkeln – anscheinend, ohne daß es zu sehr auffällt, wie manche
liebevollen Emails der mir Anvertrauten erahnen lassen (natürlich auch mündliche
Aussagen, die sich leider in schwierigen Momenten nicht so lebhaft reproduzieren
lassen). Natürlich brauche ich nur eine kurze Warte-Situation (ein Student, der
sein Programm im FH-Netz nicht findet o.ä.), und ein leichtes Surren aus meiner
Nase signalisiert der Umgebung meinen Ermüdungsgrad. War
das die Aufwandsberechnung für die Vorlesungszeit im ersten Dienstsemester?
Gewiß nicht: Am Semesterende habe ich damit etwas gewissenhaft Erarbeitetes
vorzuweisen, mitnichten aber das, was ich schon immer präsentieren wollte;
d.h., der Spaß wiederholt sich mindestens ein zweites, ein drittes, evtl. auch
ein viertes Mal – für drei, vier, fünf oder mehr Fächer, die man angesichts
des knappen Personals abdecken muß. Erst danach begänne der Alltag, der ca. 60
Stunden weniger (zzgl. Aktualisierung) verspricht. Wird’s da nicht langweilig?
Und außerhalb der Vorlesungszeit? Schreibt man da nur noch solch lange Briefe,
um Redaktionen zu nerven? Natürlich nicht: Noch war keine Rede ·
von der Konzeption der
o.a. Übungen – immerhin mit dem Anspruch, anschaulich und einprägsam das
Verständnis des durchgenommenen Stoffes zu überprüfen und auf die noch
kommenden Kapitel vorzubereiten, ohne Ähnlichkeit aufzuweisen zu gelösten
Aufgaben, die man selbst den jungen Leuten empfohlen hat, ·
vom Entwurf immer neuer,
originärer Aufgaben, die jeder Klausur einen individuellen Charakter verleihen
sollen, auch, wenn man die Musterlösung zu den vorausgegangenen veröffentlicht
hat, ·
von der Kooperation mit
Kollegen zur Publikation solcher gelöster Aufgaben als Lernhilfen – oder als
Initialzündungen für Kollegen, die einem ihrerseits mit ihren Büchern
geholfen haben, ·
von Klausuren und deren
Korrektur (für jene immerhin ca. 300 Personen nebst Wiederholer), ·
von der fachlichen (und
psychischen) Betreuung der eigenen Student/inn/en und Absolvent/inn/en, auch
jener, deren Zukunft bald der Vergangenheit angehören könnte, und die um eine
noch so inquisitorische Nachprüfung flehen, um nachzuweisen, daß es nur ein
schwacher Tag war, der ihnen eine „5,0“ einbrachte, ·
von z.T. als notwendig
erachteten Repetitorien (dann aber ohne privatwirtschfatliche Vergütung), ·
von der täglichen
Korrespondenz zu Anfragen aus aller Welt nach der eigenen Beteiligung an
Tagungen, nach Interesse an Kooperationen und Rezensionen, nach
Praktikantenstellen, ·
von der Beteiligung an
den Gremien der Hochschule, der Umstellung von Studiengängen und Studienabschlüssen,
in Deutsch oder Englisch, in neu-deutscher oder amerikanischer Schreibweise, als
Diplom oder Bachelor, ·
von der eigenen
Fortbildung und den dazugehörigen Kontakten zu einschlägigen Verlagen,
Institutionen und Kollegen, ·
von der Verfolgung
eigener Gedanken im Rahmen von Forschungsprojekten und von der Verfassung
entsprechender Fach-Publikationen, um
nur ein paar Beispiele zu nennen. Ganz
klar: Es handelt sich meist um Leistungen, die ich nicht zu erbringen brauche
(schließlich bin ich vertraglich nur zum Älterwerden verpflichtet, um meine
Gehaltserhöhungen in Empfang nehmen zu dürfen). Prinzipiell
könnte ich mich auf den Standpunkt stellen: „Ich belasse es bei max. 20
(statt 18) Semesterwochenstunden, stelle mich für diese Dauer den
interessierten Studierenden zur Verfügung, setze noch eine Reihe von persönlichen
Sprech- oder Betreuungsstunden dazu und akquiriere für den Rest der Zeit (sagen
wir: bis ca. 45 h/ Woche) Industrieprojekte und sorge dafür, daß damit
einerseits Wissenszuwachs für mein Fach und meine Student/inn/en entsteht,
andererseits aber auch, daß meine Kinder neben dem angenehmen Zubrot auch ihren
Vater mehr zu sehen bekommen, der zudem bei jeder Leistungsbeurteilung mit
seiner erdrückenden Soll-Übererfüllung glänzt.“ Gerne
wüßte ich aber, von welchen dieser Zusatzleistungen Herr
Müller-Böling (oder andere) abraten würden, um welchen Nutzen daraus zu
ziehen. Ich sehe aber auch keine Chance einer Anerkennung (geschweige denn einer
Besserstellung), die mir nach Durchsetzung der angelaufenen Reform winken würde.
Ich kann und will mich abfinden mit der (dem Vernehmen nach) angedrohten
Aberkennung geleisteter Überstunden (die ich z.B. in Anspruch nehmen könnte,
wenn zahlenmäßig schwächere Semester kommen, oder fachlich stärkere Gruppen
weniger Stunden beanspruchen). Regelrecht ärgerlich fände ich es, wenn die
durch mich beschleunigten individuellen Studienzeiten auch zur Reduktion unseres
Hochschulbudgets führen sollten. Ist
denn der Professorenjob für normale Sterbliche jemals zu schaffen? Zweifellos: Eine
Möglichkeit wäre die eingangs vorgestellte: Kreuzchen an die Tafel setzen,
ewig gleichbleibende Materialien verwenden, Abbruch-Willige zu ihrem Schicksal
ermutigen, nur noch Nobelpreis-Kandidaten und „Durchbeißer“ betreuen. Dem
soll aber gerade mit der Belebung der Konkurrenz das Wasser abgegraben werden
(wie ich meine, zu Recht). Eine
weitere Variante wäre, die vorgenannte Rolle solange zu übernehmen, bis man über
außenstehende Investoren ein eigenes Institut aufgebaut hat (über private, öffentliche
oder fiktive Sponsoren). Schafft man es nicht (Fach oder Prof. z.Z.
uninteressant, Fiktion illiquid), kann man diese Rolle perpetuieren – nach der
Reform ohne Erfolgsgarantie, aber vielleicht kann man ja schnell zur Politik
wechseln. Hat man es dagegen geschafft, kann man noch überlegen, ob man als
gefragte/r Mann/Frau zur Lehre zurückkehrt und Sonder-Studiengebühren für
jeden eigenen Auftritt verlangt. Verfechter dieser Haltung könnten getrost
Texten wie jenem von Herrn Müller-Böling neben der (auch von mir
bescheinigten) Richtigkeit auch Vollständigkeit attestieren: Entweder es läuft
wie geschmiert (Institutsgründung oder Wechsel zur Politik), und wenn nicht,
dann hat man auch nicht groß investiert und kann weiterwarten (z.B. auf die
Fiktion). Unklar bliebe, wieviele Studenten-Generationen man jeweils auf dem
Altar der eigenen Schonung opfern sollte. Die
letzte mir bekannte Haltung spiegelt sich im Vorgehen von mir und vielen meiner
Kolleg/inn/en wieder: Den Kampf gegen die Windmühlen der Bildungsmisere
aufnehmen, weil man es sich versprochen hat, es anders zu machen, soweit die
Beine tragen. Im herrschenden wie im künftigen Bildungssystem der sicherste
Weg, einen Versager abzugeben. Hat man sich zudem für die schwächer dotierte
Stelle entschieden, drohen einem ca. ein Viertel Million € Verlust an
Lebenseinkommen, weil man unvorteilhaft in die zukünftige Besoldungsordnung
eingestuft wird. Was
tun? „Konkurrenz erhöhen“, lese ich da und bin zu unbegabt, um diese frohe
Botschaft auf meine Erfahrungswelt zu übertragen. Ja
– gibt es denn keine Alternativen? Und ob! Sogar so schreiende, daß man sich
ihnen irgendwann nicht wird verschließen können: Man braucht den Hochschulen
nur die Infrastruktur und die Ressourcen zu geben, die man ihnen in den letzten
20 Jahren verwehrt hat! Ein
Großteil der Tätigkeiten, die unseren Arbeitstag (und die Arbeitsnacht) füllen,
zeitigen Resultate, die genauso gut weniger Qualifizierte erbringen können –
zudem mit Lerneffekt: ·
Das Eintippen,
Korrekturlesen und Layouten meiner Übungs- und Klausurblätter oder der
Korrespondenz kann ebenso gut oder gar besser durch vertrauenswürdige Schreibkräfte
als durch mich erbracht werden. Beim Gestalten und Bebildern meiner
Vorlesungsunterlagen könnten studentische Hilfskräfte sicher einiges lernen. ·
Es ist zwar nicht möglich,
die Übungen oder Diplomarbeiten der von mir Betreuten im letzten Semester von
einem studentischen Tutor bewerten zu lassen; aber ein Assistent mit Abschluß könnte
da bei kurzen Rücksprachen wunderbare Arbeit leisten und sich damit auch selbst
weiterentwickeln – ist leider nicht vorgesehen. ·
Die Zeit, die ich
einrechnen muß, um Beamer und Rechner in den Hörsaal zu tragen und vor und
nach meinen Veranstaltungen zu installieren und zu deinstallieren (in
Ermangelung vormontierter Geräte bzw. technischen Personals), könnte ich der
Qualität meiner Lehre zugute kommen lassen (mehr Stoff, mehr Diskussion in der
Stunde), ohne -vor allem meinen Informatikern- die neuen Medien vorzuenthalten. Aber
auch die Organisation der qualifizierten Tätigkeit ist nicht widerspruchsfrei: ·
Eine Besonderheit
erschwert vor allem das Leben der Kollegen an Fachhochschulen: Aufgrund der
geforderten (und nützlichen) Praxisnähe unserer Lehre gibt es kaum Berufungen
von Kandidaten, die das eigene Buch oder Skript (von einer Uni-Tätigkeit
kommend) mitbringen: Wir bringen einen Erfahrungsschatz, gewonnen in Projekten,
Unternehmen, Forschungsinstitutionen, der erstmal sortiert werden muß, bevor
man mit ihm die arglosen Lernenden zuschüttet. ("Welches aktuelle Paradigma erklärt
am anschaulichsten die Lehren aus diesem Kapitel?") Das bedeutet einen zusätzlichen
Arbeitsgang, den wir alle (als Überzeugungstäter/innen) gerne auf uns nehmen.
Die extreme Arbeitsbelastung und der Zeitdruck führen aber manchmal dazu, daß
wenig gereifte Lernkonzepte unseren Studenten zugemutet werden. ·
Man könnte sich zudem
fragen, ob die derzeitigen Lehrdeputate (insb. die an Fachhochschulen) jemals
eine adäquate Qualität von Lehre sichern können / jemals haben sichern
sollen. Aber das ist vielleicht ein Thema für weniger Befangene als unsereins.
Ein Anfang wäre gewiß, ausreichendes Personal zur Verfügung zu stellen, so daß
wenigstens die tariflich vereinbarten Bedingungen formal eingehalten werden. Nützlich
wäre sicher auch, daran zu denken, daß es schon heute schwer ist, die (viel zu
wenigen) ausgeschriebenen Stellen zu besetzen, weil sich viele (vor allem
Ingenieure) ihre Qualifikation lieber auszahlen lassen, wofür
Bildungsinstitutionen nicht bekannt sind. Bereits
diese exemplarisch genommenen Beispiele geben m.E. genug Anhaltspunkte, um auch
schon kurzfristig die Qualität unserer Hochschulen zu erhöhen, die
Zufriedenheit der Studentenschaft und des Personals zu steigern und Mehrwert (im
Sinne von Wissensertrag) hervorzubringen mit Kosten, die wohl kaum höher wären
als jene dieser Reform. Stattdessen liest sich für mich der Text von Herrn Müller-Böling
stellenweise wie die Strafandrohung eines dem Bildungsbetrieb entkommenen an die
dummen Daheimgebliebenen – oder: wie die unerträgliche Leichtigkeit
politischer Kosmetik durch die Arroganz der Macht. Um
es abschließend in aller Deutlichkeit hervorzuheben: Ich
bin gerne bereit, jede Aussage von Herrn Müller-Böling zu unterschreiben:
Konkurrenz belebt das Geschäft, Privilegien schaden der Moral, Selektion bringt
Erlesenes hervor. Ebenso wäre ich aber bereit, unseren Parlamentariern zu bestätigen,
daß eine Glaskuppel überm eigenen Arbeitsplatz dem Sonnenlicht einen besonders
angenehmen Anstrich verleiht, wenn man, ermattet von Flugmeilen, vor laufenden
Kameras Kürzungen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich rechtfertigen muß,
um, zwischen dem Punktesieg über Aidid in Somalia (1992) und dem Endsieg über
den Zahn der Zeit am Berliner Stadtschloß (bald), nach Wiedereinsetzung von
F.Tudjman und der kuwaitischen Dynastie, nach Wiederherstellung der
Opium-Produktion in Afghanistan auf die Vor-Taliban-Marke (3.400 t p.a.) und
Aufstellung eines neuen Rekords im montenegrinischen Mädchenhandel (1.400
„Einheiten“ p.a.), nun auch die ultimative Verteidigung Deutschlands und
Europas weit über deren Grenzen hinaus und ohne Rücksicht auf
Spekulationsgewinne zu finanzieren. Da könnten aber (bei aller Relevanz eines
Glashauses) einzelne Aspekte des Gesamtproblems zu kurz kommen. Oder,
noch knapper fomuliert für jene, die diese lange Antwort überspringen wollten: Konkurrenz,
Privilegien-Abbau und Finanz-Keulen können hervorragend zur Inanspruchnahme
brachliegender Betriebsmittel -auch der eigenen Arbeitskraft- stimulieren.
Es wäre aber töricht, vorzugaukeln, daß sie geeignet wären, verwehrte
Infrastruktur und entzogene Ressourcen zu simulieren.
Auch nicht in einer der reichsten Gesellschaften, die diese Welt je gesehen hat. Mit
freundlichen Grüßen
(Prof. Dr. A. Christidis) |