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"Rahmenbedingungen des Studienerfolgs verbessern" in Drucksache 42
Sehr geehrte "Drucksache"-Redaktion, Ich finde es außerordentlich wichtig, die Problematik und die Selbsttäuschung hinter der sog. Studienreform auszusprechen und aufzuzeigen - nicht zuletzt, um dem Eindruck entgegenzuwirken, es ginge hier "nur" um die Belange der Studierenden, die in diesem Zusammenhang sogar zu jenen der Hochschule konträr wären. Ich kann der Stellungnahme inhaltlich nur beipflichten; dennoch möchte ich einen Aspekt hervorheben, der evtl. bei schneller Lektüre zu wenig Beachtung gefunden haben könnte: Der Zwang zum Studienabbruch bedeutet nicht nur eine harte finanzielle Belastung für die Betroffenen und ihre Familien. Wäre dies der Fall, sähen sich die Befürworter/innen dieser Maßnahme bestätigt, weil davon die nach ihrer Meinung "Richtigen" betroffen wären. Eine Erhebung von Studiengebühren und / oder Exmatrikulation bedeutet auch (wie ganz korrekt im Text vermerkt)
Letzteres steht übrigens auch im Einklang mit der Argumentation zur
Schmackhaftmachung der sog. "Ich-AG", man müsse sich darauf einrichten, nicht nur einen Beruf im Leben auszuüben: Unser Chirurg von morgen kann
der Metzger-Geselle von gestern sein und umgekehrt - u.U. als (Ausbildungs-) "Abbrecher"... Meine eigene Biographie ist ein Beleg für die Folgen verfehlter Politik - in diesem Falle Griechenlands. Auf internationalen Tagungen kann ich mich dann mit etwa Gleichaltrigen derselben Provenienz und ähnlichen Werdegangs (meist im angelsächsichen Sprachraum) in der gemeinsamen Muttersprache austauschen. Kapitalflucht ist eben nicht die einzige Form eines Ortswechsels aus Unzufriedenheit. Unabhängig davon, welche dieser Auswirkungen sich am ehesten durchsetzt, wird es schließlich dazu kommen, daß die öffentliche Hand Hochschulen bereitstellt, die nicht etwa schnell viele jung-dynamische, sondern im Durchschnitt eher langsamer, eher wenigere, ältere und frustrierte Akademiker/innen ins Leben entlassen. Spitzt sich die Lage soweit zu, daß die gesellschaftliche Tragweite des Problems nicht mehr zu leugnen ist, wird man verspätet erkennen, daß ein "Wissenschaftsladen" nicht wie ein Souvenir-Geschäft ist, das Gewinn abwerfen oder schließen muß, sondern vielmehr wie das dazugehörige Museum, dessen Erhalt bedingungslos zu verteidigen ist (auch, wenn das bekanntlich nicht immer gegen alle Mächte dieser Welt gelingt). Auf solche Betriebe wirkt Profitstreben nicht regulativ, sondern destruktiv: Wenn Mangel oder Rückstand festgestellt wird, ist es schon zu spät: Man befindet sich im freien Fall; und die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien steht einer Rückkehr zur Normalität auch noch im Wege. Da hilft auch nicht das systemkonforme Placebo der Zulassung privater Hochschulen: Sie erhöhen den Preis, aber weder die Qualität, noch den Verbreitungsgrad des Wissens. Bildung gehört nun mal (wie die öffentliche Gesundheit oder die öffentiche Sicherheit, Kommunikation oder Verkehr) zur Infrastruktur einer Gesellschaft und stellt somit eine wichtige Ressource dar, die zudem seit der bürgerlichen Revolution als Allgemeingut angesehen wird und weder Herrschern, noch Zünften vorbehalten sein darf. Auch hier gilt analog zum Museum: Der Zutritt zum Rezept von Coca-Cola kann für Großaktionäre reserviert bleiben, der Zugang zum Alphabet und zur Relativitätstheorie muß für alle Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft stets frei sein - z.B. auch fürs Seniorenstudium. An die Zufriedenheit und Kreativität, die unter Erfolgsdruck stehende, quasi-kasernierte Studierende in die Außenwelt mitnehmen, möchte ich erst gar nicht erinnern, ich verweise an das Mißtrauen, das häufig FH-Absolvent/innen entgegengebracht wird, wenn sie kreative Tätigkeiten, vor allem in Forschung und Entwicklung, übernehmen sollen: Wer sich durch ein verschultes Studium hat treiben lassen, macht sich automatisch verdächtig, nur auf Planerfüllung fixiert zu sein und ohne Freude an die Arbeit zu gehen (was mir glücklicherweise auf die Gießener Studentenschaft nicht pauschal anwendbar erscheint). Alle diese gesamtgesellschaftlichen Schäden kommen oft in der öffentlichen Diskussion zu kurz - sofern sie nicht scheinheilig in ihr Gegenteil verkehrt werden. Und die sog. "Langzeitstudenten" (einerlei ob Überlebens- oder Lebenskünstler) sollen als die Schuldigen für eine seit fast 30 Jahren laufende Fehlorientierung in der Bildungspolitik herhalten - als müßten wir Nichterschienene doppelt unterrichten oder prüfen. Im Gegenteil: Durch die Ausdünnung der Reihen bekommt die Betreuung ein eher vertretbares Maß an Umfang und Intensität. Interessanterweise scheint ausgerechnet dem (Kasernierungen gegenüber eher aufgeschlossenen) Verteidigungsministerium aufgegangen zu sein, was zur Effizienzerhöhung benötigt wird - hier in fast neutraler Wortwahl wiedergegeben:
Solche vernüftige Einsichten sind gewiß nur die logische Konsequenz aus der simplen Wahrheit, daß die drittreichste Wirtschaft, die dieser Erdball in den letzten Jahrmillionen gesehen hat, über mehr als genug Ressourcen verfügt, um Aufgaben wahrzunehmen, die ihr wichtig erscheinen. Ich denke, es müßte möglich sein, dem Souverän und seinen Repräsentanten zu vermitteln, daß die Menschen an den Hochschulen weder in Fleiß, noch in Verstand so weit hinter jenen in den Kasernen stecken, daß sie nicht in der Lage wären, positive Anreize zu nutzen, wenn sie denn in gleicher Weise angeboten würden. Schließlich war es noch nie strittig, daß sich deutsche Wissenschaft und Technik international behaupten sollten - was für die deutsche Staatsräson am Hindukusch und anderswo nicht immer (nach dem 08.05.1945) in dieser Schärfe gegolten hat. Mit besten Grüßen (Email: Sat, 12 Jul 2003) |