Prof. Dr. Aris Christidis 

Fachgebiet Praktische Informatik




An den 
Hochschullehrerbund
– Landesverband Hessen e.V. – 
hlbbonn@aol.com                                                                                                                 19.12.2004


hlb-Stellungnahme zum StuGuG (Informationsbrief 1/2004)

Liebe hlb-Kolleg/inn/en,

es ist mir ein Bedürfnis, vorweg zu bestätigen, daß im Rahmen der aktuellen Gesetzgebungsmaßnahmen der hlb weniger Zeit benötigte, um uns über Bestrebungen zu informieren und mit Stellungnahmen und Argumentationshilfen zu versorgen, als ich bis zum Verfassen dieses informellen Schreibens gebraucht habe. Auch das organisierte Minister-Gespräch am 4.11.04, das ich leider aus dienstlichen Gründen nicht wahrnehmen konnte, weiß ich wohl zu schätzen als eine weitere vorbildliche Aktion eines Organs der Interessenvertretung mit einem hohen (und bislang erreichten) Anspruch.
Soweit – so glücklich bin ich mit „meinem“ hlb.

Nun versuche ich aber seit Wochen die zugestellte hlb-Stellungnahme zum „Hessischen Gesetz über Studienguthaben“ (StuGuG) zu bewältigen – erfolglos: Noch vor Erreichen des Punktes „3. Ausnahme- und Härtefälle" finde ich irgendetwas Dringenderes als das Weiterlesen – zuletzt eben diesen Brief. (S. Freud hätte sicher seine Freude an mir.)

 

Liebe hlb-Kolleg/inn/en,

nach meiner Auffassung (die gewiß keinerlei Verbindlichkeit für jedwede andere Person impliziert) geht es bei dieser Stellungnahme um die Kommentierung einer Novelle, die weit hinter die Forderungen der bürgerlichen Revolution fällt; denn nach meiner Erinnerung hieß eine jener Forderungen „Bildung für alle". Sowohl in der Position des politisch denkenden Menschen als auch in jener des Beamten der Bundes-Republik (sic!) sähe ich mich in Erklärungsnot, wenn ich auch nur „stückweise" Forderungen der Royalisten des 19. Jh. näher stünde als denen ihrer republikanischen Widersacher. 

Wenn ich zudem noch berücksichtige, daß es hier großteils um Maßnahmen zur Finanzierung des Bildungswesens geht, muß ich unweigerlich an meine eigene Studienzeit denken, die mit dem sog. „Wirtschaftswunder" zusammenfiel. Seither hat sich bekanntlich das dt. BIP von damals ca. 0,5 Billionen auf nunmehr über 1,5 Billionen EUR mehr als verdreifacht, und ich merke, wie lange mein letzter Rhetorik-Kurs zurückliegt, wenn ich von meinen Studierenden darauf angesprochen werde: Ich flüchte mich in die Rolle des gehorsamen Beamten, der nur die Gesetze seiner Herren anwenden kann, ohne sie zu hinterfragen. Sonst müßte ich erklären, wieso ich (damals als Ausländer aus GR, das einen EWG-Assoziierungsvertrag hatte) günstigere Studienbedingungen hatte als Einheimische heute.
In arge Argumentationsnot geriete ich, wenn sie wüßten, daß „mein“ hlb vorschlägt, Studiengebühren ab Beginn des dritten Studiums und ab 150% der Regelstudienzeit zu erheben, um erst bei der Aufteilung dieser Beute „absurde" Vorstellungen zu erkennen. 

Ich habe mein eigenes Studium (Elektrotechnik an der TU Karlsruhe) in 13 Semestern abgeschlossen; das war exakt der damalige Durchschnitt jener knapp 50% der dt. Studierenden, die ihr Studium nicht abbrachen. (Die Ausländer-Statistik sah aus naheliegenden Gründen wesentlich unvorteilhafter aus.) In dieser Zeit, die noch unterhalb der von „uns" (als hlb) vorgeschlagenen 150% lag, habe ich, neben meiner Elektrotechnik und einer Reihe interessanter Zusatzfächer (deren Benotung nicht mehr in die Gesamtnote einging), ein nahezu vollständiges Soziologie-Studium und ein halbes Wirschaftsstudium „gehabt": Da ich als Ausländer an den Prüfungen nur eines Studiengangs teilnehmen durfte, habe ich als Erinnerung nur eine Sammlung von Scheinen, die mir aufgrund von Referaten, Praktika, regelmäßiger Teilnahme etc. ausgehändigt wurden. Termin-Kollisionen hatte ich keine, weil die meisten Elektrotechnik-Vorlesungen ohnehin wenig vermittelten. In meiner Freizeit reichte die Intensität meines Karate-Trainings nur bis zum Hochschulmeister, denn Englisch, Französisch und Italienisch fand ich (wenigstens semesterweise) ebenso wichtig. Das war dann auch schon viel für meine Verhältnisse: Erst ein gutes Jahr nach dem Studien-Ende konnte ich meine Dolmetscher- und meine Übungsleiter-Prüfung absolvieren und Theaterstücke und Essays abschließen, die später u.a. vom DAAD veröffentlicht wurden. Mehr gab eben das Leben eines „Vor-EU-Ausländers" nicht her in der damaligen (im Vergleich zu heute bitterarmen) Bundesrepublik, die noch keine royalistischen hlb-Vorschläge kannte.

Sicher – ohne diesen Luxus hätte ich zwei, vielleicht sogar drei Semester früher mich dem anschließenden Vergnügen hingeben können: einer Doktoranden-Stelle bei einem Gehalt knapp unterhalb des damaligen BAFöG-Satzes, in einem Institut, das gezwungen war, ständig neue Rechenanlagen anzuschaffen, um die Summen zu rechtfertigen, die ihm militärische Forschungsaufträge einbrachten. Ich brauchte 4½ Jahre, bis ich den „Ausbruch“ wagte, der mich u.U. mit ausländerrechtlichen Bestimmungen hätte in Konflikt bringen können. Und ich konnte noch 15 Jahre später erfahren, daß die dt. Kollegen, die ich dort hinterließ (inzwischen anerkannte Forscher), weiterhin auf eine fachliche Anerkennung (Promotion) warteten. Ich habe aber erhebliche Zweifel, ob Promotions-Studiengebühren unser Schicksal spürbar beschleunigt und erleichtert hätten.

Meine „eingeborenen“, mutter-sprachlichen Kinder werden bei einem Master-Studium nach „unseren" Vorschlägen (etwa an „meiner" FH Gießen) und bei vergleichbarem Wissensdurst wie ihr Vater keine Möglichkeit haben, 2,5 Studiengänge gebührenfrei zu besuchen, Sprachkurse und Sport werden sie erst suchen und dann bezahlen müssen. Und sie werden in große Verlegenheit geraten, sollten sie in beschämender Weise mit noch mehr Zusatzfächern als ihr Vater –vielleicht sogar mit weniger Streß!– sich „unangemessen lange an den Hochschulen aufhalten" (Zitat aus der hlb-Einleitung). Die Gefahr eines solchen Abgleitens ist allerdings auch nicht so groß: Ich war damals über das sog. „Studium Generale" auf diesen verwerflichen Geschmack gekommen; das hat m.W. keine FH. Sollte ich jetzt schon meine Kinder darauf vorbereiten, sich evtl. später einmal wegen ihres Vaters schämen zu müssen? Sollte ich mich entschuldigen, zu viel in Anspruch genommen zu haben? Und entschuldigen – bei wem? Beim deutschen Fiskus der 70er? Bei den europäischen Generationen vor – oder nach mir?

Vielleicht haben mich 10 Industrie-Jahre zu sehr traumatisiert: Ich verfüge über mehrere Ordner mit bühnenreifen Zitaten von Vorgesetzten, denen nicht nur ihr angebliches Fach (immerhin in F&E), sondern auch noch ihre Muttersprache fremd waren. Und nun empfehlen wir, der hlb, Verstöße gegen dieses ungeschriebene Gesetz der verordneten Inkompetenz mit Studiengebühren zu belegen. Und wir arbeiten dazu Maßnahmen-Kataloge (inkl. „Ausnahme- und Härtefälle") aus, die sich wie die Empfehlung lesen, erst das Hambacher Fest „rückwärts" zu begehen, bevor wir uns dem rauschenden Vergnügen des 18. Jh. hingeben. „Kreuzzüge" wurden uns ja schon im September 01 angekündigt.

Vor meinem hlb-Beitritt hatte ich keine Bestrebungen wahrgenommen, mit denen der hlb auf Einführung von Studiengebühren gedrängt hätte, bevor Politiker dieses Thema aufgriffen. Und in der hlb-Stellungnahme vermisse ich den Hinweis, ob es sich hierbei um einen Sinneswandel handelt, der dem gesellschaftlichen Reichtum der letzten Jahrzehnte oder eher dem Vorstoß der Landesregierung zu verdanken ist. Sollte letzteres der Fall sein, muß ich ganz dezent fragen, wie weit unser vorauseilender Gehorsam reicht; ob wir hier vielleicht „protestieren" mit „prostituieren" verwechseln. Ob nun in losen Folgen Überlegungen folgen sollen, inwieweit Versetzungen lediger Kollegen an den Hindukusch zu den Dienstpflichten von Landesbeamten gehören. Oder ob das Henker-Handwerk vorsorglich als Wahlfach der Angewandten Elektrotechnik angeboten werden sollte. Ob wir den Mainstream zur Ideologie erheben wollen.

Vielleicht bin ich überempfindlich – vielleicht auch nur, weil ich meine jetzige Stelle (nach unkluger, fairneßbedingter, voreiliger Absage zwei anderer) erst antreten durfte, nachdem mir ein Strafrichter beurkundet hatte, daß allenfalls der völkerrechtswidrige Krieg unserer Bundesregierung gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und nicht eine Anti-Kriegs-Unterschrift von mir eine (Zitat:) „kriminelle Tat" darstellte. (Verständlicherweise ging das Gericht nicht auf die Frage ein, wieviele Studienplätze durch Auslassung krimineller Taten finanziert werden können.) Diese Erlebnisse verstärkten signifikant meinen hierzulande durchaus bekannten Drang, auf die Fragen der nächsten Generation vorbereitet zu sein. Und ich werde sehr peinlich berührt sein, falls meine Kinder in vielen Jahren (anhand einer hlb-Stellungnahme wie der o.a.) fragen: „Gehörtest Du damals auch zu denen vom hlb – möglicherweise auch noch freiwillig?" Ich will nicht sagen müssen, ich sei dabei gewesen, "um Schlimmeres zu verhindern": Obwohl ich einer Familie entstamme, deren Männer –und z.T. Frauen– immer in vergleichbaren öffentlichen Positionen (in GR) tätig waren, wäre ich nun, zumindest in den von mir überschauten ca. 120 Jahren (d.h. inkl. gr. Faschismus und dt. NS-Besatzung), der erste, der sich eine solche unerträgliche Blöße geben müßte: sich einer Politik angeschlossen zu haben, die man selbst als schädlich erkennt – auch, wenn meine hlb-Mitgliedschaft „nur“ Studienbedingungen und nichts „noch Schlimmeres“ betrifft.

Nach allem bisher Gesagten müßte ich nun aus dem hlb austreten oder durch protestbedingte, eigenmächtige Herabsetzung meines Mitgliedsbeitrags meinen Ausschluß und dessen Beurkundung erzwingen. Die Publizität eines solchen Vorgehens bräuchten Sie nicht zu fürchten, die Einsamkeit meiner Haltung in dieser erkalteten Republik können wir als gegeben annehmen. Aber ich will nicht versäumen, Sie zuvor um eine Argumentationshilfe gegen eine derartige Zuspitzung zu ersuchen.

Für meine (hoffentlich massig unterlaufenen) Fehlinterpretationen und Irrtümer entschuldige ich mich im voraus. Für Ihre Geduld und Mühe, meine unbegründeten Zweifel an der Integrität unseres hlb zu zerstreuen, bedanke ich mich schon heute recht herzlich und verbleibe 
mit kollegialen Grüßen und besten Wünschen für die Feiertage


(gez. A. Christidis)


P.S.: Bei Interesse finden Sie 

  • eine persönliche Stellungnahme von mir zum Thema „Studiengebühren" unter: Ein Brief...
  • nähere Einzelheiten und einen SPIEGEL-Artikel zum o.a. Gerichtsurteil unter: Ein Preis...