Prof. Dr. Aris Christidis 

Fachgebiet Praktische Informatik


 

Offener Brief 
an die Unterzeichnerinnen & Unterzeichner 
des offenen Briefes von Doktoranden 
an die Bundeskanzlerin am 24.02.2011                                        01.03.2011

 


zu Guttenberg und die Folgen

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich schreibe Ihnen, um mein Unverständnis für Ihre Empörung über die Plagiatsaffäre des Herrn zu Guttenberg zum Ausdruck zu bringen.

Ich erlaube mir eine kurze Selbstvorstellung:

Als einst zu Studienzwecken eingereister und inzwischen naturalisierter griechischer Bürger promo­vierte ich vor zwanzig Jahren mit einer Arbeit, für die ich ohne Unterlaß (ob für Brot­erwerb, Familiengründung oder nur für Urlaub) 9 Jahre lang geforscht und fast zwei weitere Jahre auf die Über­prüfung durch die 5 Professoren meines Promotionsaus­schusses gewartet hatte. Seither lade ich jede und jeden ein, in jenem alten Schriftstück zu suchen: Gerne hätte ich mehr Publizität, z.B. für die Erweiterung einer Berechnungs­methode von Johann Carl Friedrich Gauß oder für den Nachweis, daß die auch heute noch in der Digital­fotografie verwendete Pixel-Arithmetik einer von mir vorgestellten Zahlen­trans­formation bedürfte, weil sie zu falschen (wenngleich nur selten störenden) Ergebnissen führt u.s.w..

Die Notengleichheit mit Herrn zu Guttenberg hat mich wenig beschäftigt: Noch als Assistent erlebte ich, wie Kollegen in weniger als der Hälfte meiner Zeit mit ihren „zugearbeiteten“ oder „recherchierten“ (statt erforschten) Ergebnissen unter dem Beifall ihrer Doktorväter an mir vorbeizogen. Ein untrüglicher Trost war stets, daß sie unter ihrer Urkunde andere Unter­schriften hatten als ich.

Als Parteiloser, der als Stadtverordneter der Stadtfraktion der Gießener Linken angehörte, bis ich Ende November 2010, ermattet von der Verlogenheit aller Parteien, bei nur geringem Ausgleich durch die eigene Fraktion, mein Mandat niederlegte, stehe ich nicht im Verdacht, ausgerechnet einen Emporkömmling der äußersten Rechten im Bundestag vor Gesichts­verlust retten zu wollen. Als einer, schließlich, dessen Berufung 1999/2000 über Monate ministeriell ausgesetzt wurde, weil ich zuvor vehement gegen den Jugoslawien-Krieg protestierte und ein (seit 2001 rechtskräftiges) Gerichtsurteil erwirkte, in dem dieser Krieg, wenigstens potentiell, als „kriminelles Unrecht“ eingestuft wurde, werde ich wohl kaum den Anführer „unserer“ Krieger in Afghanistan und anderswo grundlos in Schutz nehmen wollen.

Ich wende mich an Sie, weil ich diese Affäre zum Anlaß nehmen möchte, Sie auf die Lage der akademischen Würde in Deutschland aufmerksam zu machen. Sie wird m.E. weniger von Plagiatoren wie Herrn zu Guttenberg denn von Politikern (wie Herrn zu Guttenberg und allen seinen Kabinetts- und Parlamentskollegen) geschunden – aber auch von Kollegen Professoren, die in ihrem vorauseilenden Gehorsam einen Schuldigen benennen, um die Politik (und vor allem: sich selbst) wieder für geläutert zu erklären.

Auf die Gefahr, mein Halbwissen preiszugeben, gebe ich meinen Informationsstand wieder:

Herr K.-Th. zu Guttenberg hat eine Dissertation geschrieben. Wie zu jeder Arbeit dieser Art hat er hierzu die Tätigkeit der ihm zugeordneten, wissenschaftlich arbeitenden Kräfte in Anspruch genommen, indem er sie vermutlich (wie jeder andere Promovend) gebeten hat, ihm die Mannjahre oder gar -jahrzehnte beanspruchende Fleißarbeit abzunehmen. Das ist, wie Sie sicherlich wissen, legitim und üblich.

Peinlicherweise hat der Doktorand zu Guttenberg nicht beachtet, daß die ihm Zuarbeitenden keine „Studien“, sondern offenbar „Exzerpte“ (d.h.: Auszüge von Originaltexten) lieferten.

Peinlicherweise hat der Doktorvater zu Guttenbergs, Prof. Häberle, dies auch nicht bemerkt.

Am peinlichsten ist, daß auch der Promotionsausschuß, der (vertretungsweise für die Uni­versität Bayreuth) Herrn zu Guttenberg zum Doktor ernannte, dies auch nicht wahrnahm.

Auch unter der Annahme, daß Herr zu Guttenberg grundsätzlich nicht fähig wäre, selb­ständig eine Doktorarbeit zu verfassen, halte ich es für unstrittig, daß er in der Lage ist, Texte so umzuformen, daß sie von den heutigen, relativ einfältigen Programmen für Text­vergleiche als originär klassifiziert werden. Das bedeutet für mich: Hätte er täuschen wollen, hätte er zumindest seine konkreten Prüfer (und die Öffentlichkeit sowieso) täuschen können.

Gleichzeitig ist vielfach festgestellt worden, daß die kopierten Texte offenkundig durchaus sachdienlich waren; d.h., die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Abgeordneten zu Gutten­berg haben gute Arbeit geleistet – allerdings im Sinne einer Recherche für Parlaments­arbeit, nicht im Sinne eines „Wissenszuwachses“, der in der akademischen Welt eine Promotion begründet. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat also Herr zu Guttenberg seine Mitarbeiter mäßig betreut (bzw. kontrolliert), und er ist seinerseits von seinem Doktorvater mäßig betreut (bzw. geprüft) worden. Dann haben aber, mutmaßlich, Mitarbeiter und Promovend weitgehend gewissenhaft gearbeitet – freilich: jeder auf seinem Niveau!

Kann es sein, daß als Ergebnis gewissenhafter Tätigkeit auf mehreren Ebenen ein Betrug herauskommt? Ich behaupte: Durchaus!

Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist die Anzahl der außerhalb des Bildungs- und Forschungs­wesens angefertigten Dissertationen immer weiter gestiegen. Hintergrund waren (und sind weiterhin) zum einen die Steuergeschenke und der daraus resultierende Kürzungswahn der Politiker, die jungen Wissenschaftlern keine Chance mehr an Hochschulen geben (der Wissenschaftsrat berät regelmäßig über die Folgen), zum anderen auch das Bestreben, gute Wissenschaftler für die unternehmerische Wahlklientel einzuspannen: Nicht die Kriterien des Professors und Doktorvaters, sondern die des Chefs und der auf Dividende schielenden Aktionäre sollte das Forschungsmotiv liefern. In den Naturwissenschaften hat die Doktor­arbeit zu Contergan (1957) es leider verpaßt, eine überzeugende Vorahnung zu geben. Nun warten wir auf die (hoffentlich nie eintretenden) Folgen „grüner“ Gentechnik.

Es gilt heutzutage als schick, eine akademische Würde außerhalb eines akademischen Betriebs zu erarbeiten – auch, obwohl es bekannt ist, daß ihre Qualität darunter leidet (das wissen alle); aber man kann damit Geld verdienen und den Eintritt in die Gesellschaft der Mächtigen erdienern. Karl Theodor zu Guttenberg ist schick und mächtiger Abstammung.

Einen vorläufig letzten persönlichen Höhepunkt in dieser Hinsicht erlebte ich mit Datum vom 01.03.2011 (d.h.: heute), als mir ein Unternehmen nach längerem Streit „gütig“ zugestand, die von einem meiner Studenten als Abschlußarbeit entwickelten Programme überhaupt einzusehen: Ich hatte klar gemacht, daß ohne Offenlegung der Quellen von mir kein (wie vorliegend) noch so guter Studienabschluß „durchgewunken“ wird.

Mit dieser Haltung stehe ich und einige meiner Kollegen leider recht einsam da.

Könnte die Plagiatsaffäre etwas mit dem Bildungssystem zu tun haben?

Spätestens seit der „Bologna-Reform“ (1999) gelten als „gute“ Professoren jene, die Kooperationen mit Unternehmen und anderen Einrichtungen außerhalb der Hochschule pflegen. Genehmigung von Forschungsgeldern und sogar unsere Gehälter werden (auch) danach beurteilt. Und, damit diese „Schule“ nicht von gewissenhaften Wissenschaftlern zu Fall gebracht werden kann, ist im neuen Jahrtausend ein neues Hochschulgremium geschaffen worden: der Hochschulrat, der jeder Hochschule eine Aufsicht durch Personen beschert, die nicht zum Wissenschaftsbetrieb gehören, die aber (meist als Unternehmer) sich damit befassen, wissenschaftliche Erkenntnisse, an deren Gewinnung sie nicht beteiligt waren, gewinnbringend zu verkaufen.

Diese Verhältnisse kennen Sie, verehrte Unterzeichnerinnen & Unterzeichner, ähnlich wie die Tatsache, daß Ihre, unsere, Studiengänge „seit Bologna“ nicht mehr durch parlamenta­risch kontrollierte Gremien, sondern durch privatwirtschaftlich organisierte „Akkreditierungs­agenturen“ genehmigt werden.

Vor gut zwei Jahren hatte ich auf einer Tagung die Gelegenheit, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, vor Hunderten versammelter deutscher Wissenschaftler, zu fragen, wie sie dazu stehe, daß wissenschaftliche Leistungen von „Akkreditierungs-Firmen“ beurteilt werden, die weder fachlich noch demokratisch legitimiert sind. Mit Geschick, Charme und Noblesse bat Kollegin Wintermantel um die nächste Frage.

Zu der Plagiatsaffäre stellte Frau Wintermantel heute in der Presse klar: „Wissenschaftliches Fehlverhalten ist kein Kavaliersdelikt“. Wer soll aber das Delikt feststellen, wenn nicht die Hochschulen, und welche Maßstäbe sollen gelten, wenn alles nach der Ertragserwartung beurteilt wird? Sollten die freundlichen Gefühle eines Parlamentariers und Ministers zur Fakultät nicht mitberücksichtigt werden? Auch bei meiner Doktorarbeit wurde die Ausrüstung vom Verteidigungs­ministerium finanziert. Die damals beschaffte Elektronik steht zwar heute nahezu jedem Schüler daheim zur Verfügung; aber damals wäre meine Hochschule nicht einmal antrags­be­rechtigt gewesen, hätte sich nicht ein (faktisch unbeteiligtes) Rüstungs­unter­nehmen bereit erklärt, ein Wort für meine Projektpläne einzulegen und „nur“ zwei Drittel der erhaltenen Mittel einzu­streichen. Das war vor 25 Jahren, und die o.a. wirtschafts­freund­licheren Regelungen sind erst später in Kraft getreten.

Ganz im Sinne dieser Entwicklung hat m.E. Herr zu Guttenberg versucht, wissenschaftliche (aber leider nicht originäre) Arbeit seiner Bundestagsmitarbeiter für den Dienst seiner persönlichen Unternehmungen zu verwerten. Aufgefallen ist (jedenfalls mir) dabei, wie er im Bundestag seine Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie bei Einhaltung einer adäquaten Dauer von 7 Jahren betonte: Von Wissenszuwachs als Gegenstand einer Doktorarbeit hat er nichts gesagt. Auch seine Professoren der Universität Bayreuth haben zu jenem Zeitpunkt eine solche Äußerung von ihm offenbar nicht vermißt.

Was befremdet Sie darin, wenn Sie die sonstige Entwicklung positiv beurteilen, und wo waren Sie im letzten Jahrzehnt, als andere und ich dagegen protestierten? Haben Sie sich einmal die Dissertation des Einheitskanzlers Herrn Dr. H. Kohl angeschaut? Immerhin könnte seine Aussage­verweigerung in der Flick-Affäre (1984) Anlaß zu Zweifeln an seiner Ehrlichkeit geben. Sie laufen Gefahr, in der Öffentlichkeit als Retterinnen und Retter nicht der Wissenschaft, sondern Ihrer persönlichen Reputation wahrgenommen zu werden.

Als Nichtmuttersprachler darf ich zudem daran erinnern, daß Herrn zu Guttenberg eine Täuschung in seiner Zeit als „Doktorand“ vorgeworfen wird. Die Endung des Wortes („...-and“) verrät, daß es sich um das Objekt einer Handlung handelt: Jemand wird durch Dritte zur Doktorwürde geführt (im Gegensatz etwa zu einem „Inform-anten“, der, wie ein Julian Assange, als Subjekt einer Tätigkeit z.B. Informationsflüsse selbst steuert). Keiner scheint sich aber für die Subjekte der Tätigkeiten um die Plagiatsaffäre zu interessieren.

Zur Tat von Herrn zu Guttenberg gab es mehrere Subjekte: Da war zunächst sein honoriger Doktorvater, Professor Häberle; und unabhängig von ihm gab es auch einen Promotions­ausschuß. Dieser hatte das Werk zu Guttenbergs gelesen und bewertet und hätte Herrn Prof. Häberle bzgl. der Beurteilung des Kandidaten und seiner Arbeit überstimmen können. Alle haben sich damals mit höchstem Lob (summa cum laude) über die Qualität der Arbeit ausgesprochen – ob nach wissenschaftlichen, politischen  oder wirtschaftlichen Kriterien.

Was gibt Ihnen die Zuversicht, daß dieselbe Hochschulrektorenkonferenz und dieselben Promotionsausschüsse, bei unveränderter Wissenschaftspolitik, eine qualitativ andere Wissenschaft gewährleisten? Und wenn Sie diese Zuversicht nicht haben: Wieso fordern Sie Konsequenzen nur für den Prüfling, nicht aber für seine Prüfer? Wo bleiben vor allem Ihre Forderungen bzgl. Maßnahmen in der akademischen Landschaft dieses Landes, hin zu einer Wissenschaft, die, frei von wirt­schaftlichen Zwängen, sich dem Wissenszuwachs und dem Wohlstand für alle widmet? Wieso fordern Sie nicht wenigstens eine bessere Personal-Ausstattung für Ihre Universitäten (im Mittelbau, in den Bibliotheken, in den Labors) damit nicht erst im fernen Bremen die Schwächen Ihrer Qualifizierung aufgedeckt werden? Erwarten Sie wirklich, daß Menschen den veränderten Bedingungen in den Hochschulen trotzen und wider alle Vernunft, am ausgebreiteten roten Teppich vorbei, sich (wie manche von uns) auf den steinigen Spießrutenlauf eines profitunabhängigen Wissenszuwachses begeben?

Die Scham, die Frau Ministerin Dr. Schavan gemäß Presseberichten vom 27.02.2011 empfindet, kann ich verstehen – aber nicht in Bezug auf das Verteidigungsressort.

Mit kollegialer Hochachtung

 

gez. Aris Christidis