Prof. Dr. Aris Christidis 

Fachgebiet Praktische Informatik


 

Rahmenbedingungen des Studienerfolgs verbessern

Die seit Mitte der 90er Jahre eingeleiteten Strukturveränderungen werden die Hochschulen in einem Maße "umkrempeln", wie es seit der großen Hochschulstrukturreform zu Beginn der 70er Jahre nicht mehr geschehen ist. Dabei hat die aktuelle Reformbewegung eine völlig andere Stoßrichtung und andere Protagonisten als die erste vor rund 30 Jahren.

Rückblick

Die Reform der Hochschullandschaft in der Bundesrepublik Deutschland Ende der 60er / Anfang der 70er Jahre war das Ergebnis eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses. Zentrale Forderung der Studierenden war die Demokratisierung und Öffnung der Universitäten. Die vehemente Kritik jener Jahre rieb sich an einem Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb, der sich der akademischen Elitebildung verpflichtet fühlte, sich öffentlicher Kritik und Kontrolle gegenüber hartnäckig abschottete und gesellschaftliche Realität ebenso hartnäckig ausblendete. Die Forderung nach Demokratisierung und Öffnung der Universitäten traf zusammen mit einem steigenden Bedarf der Wirtschaft an mehr und besser qualifizierten Fachkräften. Insbesondere im Bereich der Ingenieurwissenschaften konnte der zunehmende Bedarf durch die Universitätsalbsolventen immer weniger gedeckt werden. Das war die Geburtsstunde der Gruppenhochschule und des neuen Hochschultyps Fachhochschule.

Bei der heutigen Reformbewegung geht es anders als damals um die Ökonomisierung der Hochschulen und die Einführung von Managementstrukturen, wie sie aus Unternehmen bekannt sind. Und die Betreiber sind nicht die Studierenden und Beschäftigten der Hochschulen, sondern die Finanzminister und die Wissenschaftsadministration.

Aktuelle Tendenzen

Über 1,95 Millionen Studierende sind heute an den deutschen Hochschulen immatrikuliert, ein knappes Drittel davor an Fachhochschulen.
Angesichts der Verknappung öffentlicher Mittel stellt sich zunehmend die Frage nach der Finanzierbarkeit der Hochschulen. Die Antwort der neuen Hochschulgesetzgebung sind die Stärkung und Kompetenzerweiterung der Hochschulleitungen und eine "leistungsorientierte Mittelzuweisung", wobei in Hessen die Zahl der Regelzeitstudierenden eine wesentliche Größe der "Leistung" darstellt,

Unbestritten ist, dass diese Medelle erhebliche positive Momente enthalten wie etwa die Ausweitung der Hochschulautonomie bei gleichzeitigem Rückzug der Ministerialbürokratie. Auch die Transparenz von Finanzzuweisungen sowie die Aufhebung der Trennung von Sach- und Personalmitteln sind Maßnahmen, die die Hochschulen lange gefordert haben. Aber es gilt auch, ein Auge darauf werfen, ob das Reformpaket Maßnahmen enthält, die den Interessen der Hochschulen und Studierenden entgegenwirken.

So wird als Mittel zur Kostensenkung immer wieder die Zwangsexmatrikulation bei "zögerlichem" Studierverlauf oder die Einführung von Studiengebühren für "Langzeitstudierende" genannt.

"Wer innerhalb von zwei Jahren keinen in der Prüfungs- oder Studienordnung vorgesehenen Leistungsnachweis erbringt, kann exmatrikuliert werden", lautet § 68 Abs. 3 des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG), wobei diese Regelung eine Zwangsexmatrikulation schon in der Regelstudienzeit ermöglicht! Es handelt sich um eine "Kann-Bestimmung": Hier stellt sich die Frage, ob die Hochschulen von dieser Regelung Gebrauch machen sollten.

Das Bild des Studierenden, der sein Studium in der Regelstudienzeit absolviert, ist eine Fiktion. Realität ist, dass ein Großteil der Studierenden ihr Studium als Teilzeltstudium organisiert. So wissen wir aus der 16. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, dass der übergroße Anteil der Studierenden zur Sicherung des Lebensunterhalts einer Erwerbstätigkeit nachgehen muss; auf Kosten der Stringenz des Studiums. Auch wenn Studierende aus einkommensschwachen Familien eine Förderung nach dem BAföG erlangen können, werden es gerade aber diese Studierenden sein, die neben dem Studium dazuverdienen müssen.

Eine strikte Anwendung der Möglichkeit des § 68 Abs. 3 HHG würde meines Erachtens gerade die Studierenden aus einkommensschwachen Familien treffen und solche Studierenden, die zur Erwerbstätigkeit gezwungen sind. Auch würde die generelle Anwendung die konkrete soziale Situation des einzelnen Studierenden nicht berücksichtigen und auf potentielle Studienanfänger abschreckend wirken. Dies hätte für die Hochschule neben dem schlechten Image auch zur Folge, dass sich das Grundbudget verringern würde.

Fördern statt sanktionieren

Da Studiengebühren für das Erststudium rahmengesetzlich ausgeschlossen sind, konzentriert sich die Diskussion zur Zeit auf die Einführung einer Studiengebühr für Langzeitstudierende. Auch hier gilt als Gegenargument, dass diese in der Regel Teilzeitstudierende sind. Eine "Langzeitgebühr" würde ebenso wie bei der Zwangsexmatrikulation jene Studierende treffen, denen auf Grund einer lebensunterhaltssichernden Erwerbstätigkeit ein zügiges Studium nicht möglich ist. Und wer in den finanzgeplagten Hochschulen meint, er würde durch die Studiengebühren das bestehende Budget aufstocken, der dürfte enttäuscht werden. Der Finanzminister wird seinen Anspruch schon anmelden! Vielmehr ist zu befürchten, dass die Hochschulen die erheblichen juristischen und administrativen Maßnahmen für Zwangsexmatrikulationen und die Erbebung der Studiengebühren durchführen und bezahlen müssen. Folge wäre ein neuer bürokratischer und personal- wie kostenintensiver Verwaltungsapparat.

Bevor die Hochschulen also über die Einführung von Maßnahmen nachdenken, die im Zweifel zu sozialer Ungerechtigkeit und einer Aufblähung des Verwaltungsamparates führen, sollten sie sich darauf kozentrieren, wie möglichst viel Studierenden zu einem erfolgreichen StudienabschIuss geführt werden können. Hierzu könnte z B. für Langzeitstudierende ein spezielles Studienberatungsangebot gehören. Die FH Gießen-Friedberg hat bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, denen weitere folgen werden. Seit vielen Jahren bieten wir Studienanfängerinnen Vorkurse an, damit sie einen besseren Start ins Studium haben. Zur Zeit wird an einer hochschulweiten Satzung zum Teilzeitstudium gearbeitet. Mit dem neuen Studien-Informations-Centrum (SIC) in Gießen werden wir unser Beratungsangebot für unsere Studierenden verbessern. Die FH beteiligt sich an einem Mentorinnennetzwerk für Studentinnen in ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen. In naher Zukunft werden wir mit einer eigenen Studierendenbefragung die Wünsche und Studienerfahrungen der Studierenden erfragen. Und auch die Schaffung eines Mentorenprogramms für Studienanfänger steht auf der Agenda.

Die Hochschulen sollten auch für jene offengehalten werden, denen das Studium aufgrund ihrer sozialen Herkunft besondere finanzielle Belastungen auferlegt. Zwangsexmatrikulationen und Studiengebühren widersprechen meiner Auffassung nach diesem Ziel. 

Hajo Köppen 
Vizepräsident der FH Gießen-Friedberg

 

(Ungekürztes, aus der gedruckten Fassung in der "Drucksache 42" abgetastetes und mit OCR behandeltes Dokument)