Prof. Dr. Aris Christidis 

Fachgebiet Praktische Informatik


 

An die Redaktion
SPIEGEL-Verlag
Brandtwiete 19

20457 Hamburg                                                                     30.03.2000

 

„Kriminelle Beteiligung“ in DER SPIEGEL 12/2000

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

im o.a. SPIEGEL-Artikel berichteten Sie über meinen Prozeß und Freispruch vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten am 02.03.2000 wegen der Mitunterzeichnung eines Aufrufs an Soldaten der Bundeswehr, sich nicht am grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Krieg im Kosovo zu beteiligen. Sie nahmen dabei Ihr Recht in Anspruch, über eine öffentliche Sache ohne Rücksprache mit dem Betroffenen zu schreiben – was Ihnen zudem recht gut gelang. Dadurch mußte Ihnen aber ein Aspekt entgehen, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, weil er der Angelegenheit eine zusätzliche Note verleiht:

Der inkriminierte Aufruf gegen den jüngsten Affront der NATO gegen das Völkerrecht erschien am 21.04.99 – zufällig just am Jahrestag der Errichtung einer Militärdiktatur nach dem „Gladio“-Plan der NATO in Griechenland (1967), was ich als Jugendlicher erlebte. Jene Diktatur und die Probleme meiner (als unverbesserlich liberal geltenden) Eltern in den Ministerien, in denen sie tätig waren, boten damals den Anlaß, mir ein Auslandsstudium in der freiheitlich-demokratischen, grundordentlichen Bundesrepublik der Ära Brandt zu wünschen und zu bekommen.

Dreißig Jahre und eine Einbürgerung weiter hielt ich, ebenfalls an jenem 21.04.99, eine Probevorlesung an einer hessischen Hochschule, woraufhin ich von der Berufungskommission als Wunschkandidat für die Besetzung der ausgeschriebenen Professur nominiert wurde.  Mit einiger Verzögerung erhielt ich dann Anfang d.J. einen Ruf des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (HMWK), den ich auch annahm. Gemäß den Berufungsrichtlinien des Landes Hessen gab ich eine Erklärung über meine fehlenden Vorstrafen ab – und, da die Staatsanwaltschaft Berlin schneller gewesen war, meldete ich wahrheitsgemäß die Eröffnung des ersten Strafverfahrens meines Lebens. Dies brachte die Prozedur meiner Ernennung ins Stocken.

Trotz des (auch für Beamte) geringen drohenden Strafmaßes von 30 Tagessätzen, ja trotz des inzwischen in erster Instanz erzielten Freispruchs (Ihr o.a. Artikel) müssen nun Stellungnahmen, Positionierungen, Gutachten etc. durch das HMWK eingeholt und abgewartet werden. Bezüglich des Ausgangs bin ich zwar optimistisch, zumal der betroffene Fachbereich weiterhin zu meiner Berufung steht; dies ändert jedoch nichts daran, daß Verzögerungen, Irritationen und nicht zuletzt Unsicherheiten für meine Familie und mich entstehen.

Experten, an die ich mich ratsuchend wandte, konnten mir keinen sicheren Tipp geben und nicht einmal einen voraussichtlichen Termin für die Entscheidung in meiner Sache nennen: Das sei eine sehr ungewöhnliche Angelegenheit, die seit dem Radikalenerlaß nicht mehr zur Beurteilung angestanden habe. Und das ist ein neuer Aspekt – eigentlich eine neue Qualität:

Das zunehmende Abdriften unserer Politiker in immer größere Distanz zum Grundgesetz (GG) -bzw. zu dem, was Änderungsaktionen von vier Dekaden daraus machten- ist auf dem besten Wege, eine Art „Radikalenerlaß rückwärts“ heraufzubeschwören: Wurden in den 70ern und 80ern Menschen von bestimmten Positionen ausgeschlossen, weil sie verdächtigt wurden, ihre Kritik an der Politik nicht auf dem Boden des GG zu üben, so soll meine Ernennung zumindest erschwert werden, weil mein Bekenntnis zu eben diesem GG die nötige Nähe zur real existierenden Tagespolitik vermissen läßt (wo hie und da ein kleiner Verfassungsbruch angezeigt und daher verzeihlich ist). Auch der (StPO-bedingt nur erstinstanzliche, im Rechtsstaat ohnehin überflüssige) gerichtliche Beweis meiner Unschuld und Gesetzestreue verbessert offenbar meine Chancen nicht signifikant, solange ich dem Treiben der Exekutive kritisch gegenüberstehe (etwa durch Äußerungen wie diese).

Gelegenheit für eine Zuspitzung der Situation böte denn auch das (am 10.02.00 in der Presse gemeldete) hehre Angebot R.Scharpings an die Heere von Frauen, die um Einlaß in seine Kampfverbände kämpfen, sie könnten sich schon heute bewerben, um nach der (als baldig gewähnten) GG-Änderung zum heute noch unzulässigen Dienst an der Waffe zugelassen zu werden. GG-Artikel, die uns im Wege stehen, können wir schließlich beiseite schieben: Eine Logik, mit der man auch Bewerbungen angehender Blockwarte, Henker oder anderer rar gewordener Spezies erbitten oder Blitzumfragen zur Beliebtheit von Blitzkriegen u.ä. populär-populistischen Spektakeln starten könnte. Riefe ich etwa dazu auf, diesem Aufruf nicht zu folgen, weil er dem Pressedienst oder den Wirrungen eines wieder einmal im Verbotsirrtum befindlichen und auch sonst von Lebenshärten nicht verschont gebliebenen Kabinettsmitglieds entstamme, so könnte dies weitere Zweifel an meiner Eignung für akademische Ehrungen aufkommen lassen – weshalb ich auch davon absehe, hier noch eine Lanze zu brechen für das geschundene GG (in der zum Datum des Briefstempels gültigen Fassung). Immerhin steht eine mich betreffende ministerielle Entscheidung noch aus.

Zusätzliche Brisanz bekommt die Sache vor dem Hintergrund der Tatsache, daß es sich hier um eine Professur für Informatik handelt. Angesichts der angeblich fehlenden Fachleute stellt sich ggf. die Frage, ob denn (im Bedarfsfalle, versteht sich) Experten in der öffentlichen Lehre und Forschung auch ihren verfassungskonformen Neigungen in aller Öffentlichkeit frönen dürfen, ohne damit den Anstoß zur Mobilimachung für die (natürlich willkommene, wenn auch nicht benötigte) außereuropäische Reserve zu liefern.

Es stellt uns ein blamables Zeugnis aus, wenn bei Anbruch des 21. nachchristlichen Jh. in einem der technologisch, wirtschaftlich und militärisch führenden Länder die politische Elite jahrzehntelang nicht in der Lage ist, sich selbst einen gesetzlichen Rahmen zu geben, den sie nicht ständig entweder ausweitet oder übertritt. Die klammheimliche Belustigung über die peinlichen Vertreter des Souveräns hilft denn auch kaum die Erkenntnis verkraften, daß sie nicht nur ihren Paragraphen, sondern auch (wie bei mir) der persönlichen, beruflichen und familiären Entwicklung Gewalt antun. Glaubt man den Meldungen der Bundeswehr selbst (ARD, 26.03.00), daß die deutschen Bomber-Piloten mit gesundheitlichen Risiken zu rechnen hätten, weil ihre Munition uran-angereichert gewesen sei, so merkt man, daß die (hier: radioaktive) Spur der Gewalt gar nicht belustigend und völlig kollateral auch jene einholt, die sich im vergangenen Jahr nicht primär für Anti-Kriegs-Feldzüge haben rekrutieren lassen – von den geradezu genozidal anmutenden Konsequenzen für die serbische Bevölkerung ganz (und gar nicht) zu schweigen.

In diesem Sinne darf man auf Ergebnisse mit Signal-Charakter von zweierlei „Berufungen“ gespannt sein: von derjenigen, die den Berliner Justizbehörden vorliegt (von welcher Sie berichteten) und von jener, die zwischen dem HMWK und mir mit der „stillen“ Post ganz lautlos erledigt wird – wenn man von Leserbriefen wie diesem absieht.

Mit freundlichen Grüßen  

 

(Dr. A. Christidis)